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"Femme Fatal" eine Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle

Femme fatale

 

(Ein Ausstellungsbesuch mit Sinje Matzner )

 

Was ist bloss so schwierig daran, frage ich mich, als ich aus der Ausstellung rausgehe in den klirrend kalten Hamburger Nachmittag. Warum fällt es Männern, Künstlern, europäischen Gesellschaften so schwer, Frauen als eigenständige Wesen zu betrachten, und nicht als Projektionsfläche für männliche Ängste, Sehnsüchte, Begierden? 

 

Ich finde keine Antwort, und das enttäuscht mich. Fehler! Warum mache überhaupt ICH mir diese Gedanken? Wieso bin jetzt schon wieder ich, die Frau, dafür zuständig, das zu erklären? 

 

Die Ausstellung zeigt ohne Groll, ohne Empörung einfach nur, was war. Sachlich, aber klar. Die Bilder von Frauen, die einige wenige Männer über die Jahrhunderte hinweg aufgemalt haben, kunstvoll, schrecklich und schön. Bilder, die dann tausende andere Männer im Kopf hatten, und die ihr Handeln und Verhalten gegenüber Frauen nachhaltig geprägt haben. Da sind die Fabelwesen, ebenso verführerisch wie bedrohlich, nackt, weißhäutig, schimmernd, bestens sichtbar ausgestellt im dunklen Hintergrund, im Meer, auf Felsen, Waldlichtungen oder in schwülstig ausgestatteten Palästen. Es sind mythologische Figuren, Lilith, Circe, Medusa, Salome, Judith. Meerjungfrauen, Undinen, Lorelyen. Starke Frauen, die Macht hatten, über die Männer. Die Macht, sie anzuziehen, ins Verderben zu locken, zu töten. Zauberinnen, Hexen, Magierinnen - denn bei dieser Umkehr der gesellschaftlich legitimen Verhältnisse konnte es ja nicht mit rechten Dingen zugehen. Über Jahrhunderte hinweg dasselbe Prinzip, nur die Malstile wechseln zwischen 1880 und 1920, nicht aber die Grundkonstellation des Gezeigten.

 

Angst lauert hinter den schönen weißen Körpern, große männliche Angst, die Angst, die Frauen eben doch nicht völlig beherrschen zu können, trotz aller Bemühungen in tausenden Jahren des Patriarchats. Sie nicht beherrschen zu können, aufgrund der eigenen männlichen Verführbarkeit und Schwäche. Denn verführerisch sind sie zweifellos, all die schönen Magierinnen und Hexen. 

 

What the fuck, denke ich, und ja - darum geht es natürlich am Ende, um Sex. Dass Männer begierig sind, aber auch schwach, dass sie Frauen brauchen, dass sie eben keine Vollzeithelden sind, sondern Trost wollen, Streicheln und Zärtlichkeit. Warum auch nicht? 

 

Wieso also machen wir es uns seit Jahrhunderten so unnötig schwer? Schon immer haben Männer Mütter und Partnerinnen, die sie unterstützen, und nicht die Klippe runterstürzen. Wozu also das ganze Brimborium um die femme fatale, die den ach so rechtschaffenen Mann in den Abgrund reißt? 

 

Vermutlich, weil die Opferrolle für die herrschenden Männer so entsetzlich bequem ist. Weil es so schön einfach ist, für die eigene Triebhaftigkeit und Kontrollschwäche einfach jemand anderen verantwortlich zu machen, „das ewig lockende Weib“. Anstatt sich mit den eigenen Bedürfnissen auseinander zu setzen, und Verantwortung und die Pflicht zu Handeln bei sich selbst zu suchen. 

 

Ich habe in der Ausstellung nicht nur die Bilder genau angesehen, sondern auch die Männer, die dort waren. Und sie waren alle bereit, sich mit diesem Umstand irgendwie auseinanderzusetzen - sonst wären sie ja nicht hingegangen, denn nackte Frauen zum Anstarren findet man heute im Internet ja viel einfacher. Warum eigentlich habe ich sie nicht einfach gefragt, wie sie als Männer das alles sehen - denn am Ende lässt sich das alles ja nur gemeinsam ändern? 

 

Am Ende der Ausstellung wird der männliche Blick in einer Videoinstallation thematisiert, wo geifernde Männer der 20er Jahre eine tanzende Salome anstarren, unter deren Schleiern sich am Ende dann doch ein moderner, männlicher Tänzer verbirgt. Der deswegen nicht weniger erotisch ist. Und auch die Zeichnungen von Frauen aus den 20er Jahren, die tiefschwarze Plus-Size-Lady, die sich am Ende der Ausstellung ebenso selbstverständlich wie genüsslich nackt auf ihren Kissen räkelt, machen mir ein gutes Gefühl. Das geht alles besser, mit Männern, Frauen und den Menschen, die keines davon sein wollen, als Partner, wo sich nicht die Täter zu Opfern erklären, um nicht über ihr eigenes Tun nachdenken zu müssen. 

 

Sinje empfiehlt die Ausstellung „Femme fatale“ in der Hamburger Kunsthalle, noch bis zum 10. April 2023